Der nächste Lastwagen wartet schon vor dem Tor. Aus der Lenk ist er angekommen, so weit und noch weiter reicht das Einzugsgebiet der Kehrichtverwertungs- anlage – kurz: KVA –, die in Thun Nord Abfälle zu Energie macht. Um zu erfahren, wie genau das passiert, nimmt uns Roman Camenzind mit auf eine kleine Tour. Er ist Bereichsleiter Energie der AVAG, welche die KVA betreibt. Wir schlüpfen durchs Tor in eine grosse Halle und sehen die Abschrankungen. Dahinter: der Abgrund. Entsorgungsstelle und Kraftwerk «Zu nahe dürfen wir nicht heran», kommentiert Roman Camenzind, als wir unsere Hälse recken, um einen bes- seren Blick in den Abfallbunker, so der Fachbegriff des 12 Meter hohen Abgrunds, zu erhaschen. Rund 130‘000 Tonnen Abfall gelangen jährlich hier hinein, erklärt der Ingenieur. Auch Privatpersonen dürften abladen, unter einer Bedingung: «Sie müssen den Abfall kippen können. Den Müll von Hand hinunterwerfen, wäre viel zu gefähr- lich.» Immer noch beeindruckt von den Dimensionen, er- klärt uns Camenzind, dies sei der kleinste Teil der Anlage. Wir machen uns also auf den Weg zum Lift. Ein Lastwagen wirkt klein neben dem Abfallkran mit seinen mannshohen Greifarmen. Der mischt den Kehricht, türmt ihn als Vorrat auf und befüllt den Ofen. In der Leitstelle angekommen, empfängt uns ein Raum mit mehreren Dutzend Bildschirmen. Darauf werden Zah- len, Grafiken und Videos vom Feuer live aus der Kehricht- verwertung angezeigt. «Sie sehen, es sind zwei Feuer», weist Camenzind uns hin. Von Thun aus könne auch das Holzkraftwerk in Aarberg, welches die AVAG betreibt, ge- steuert werden, ebenso das Flusskraftwerk in Thun. «Wir haben hier ein 24-Stunden-Pikett.» Wir merken: Hier wird zwar Abfall entsorgt, vor allem aber wird Energie produ- ziert. Wir sind im Herzen eines Kraftwerks gelandet, oder besser: in seinem Gehirn. Durch den Ofen – und noch viel weiter Hinter den Bildschirmen öffnet Roman Camenzind eine Schiebetür. In einem Drehstuhl sitzt der Kranführer, vor ihm, durch Glas getrennt, der Bunker mit Hunderten von Gebührensäcken. «Hauskehricht ist eigentlich die beste Art von Abfall für uns», meint Camenzind. Er käme per Definition in kleinen Einheiten – nämlich sackweise –, sei dadurch gut durchmischt und nicht zu feucht. Während der Kranführer einen riesigen Greifarm in die Tiefe lenkt, neben dem der Lastwagen wie ein Spielzeugauto wirkt, 6